Der Krieg in der Ukraine – ein Interview

Seit dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine müssen viele Menschen ihre Heimat verlassen, um Tod, Gewalt und Zerstörung zu entkommen. Auch hier im Landkreis Landsberg treffen zahlreiche Geflüchtete ein. Ein anderes, neues Leben beginnt für sie fern der Heimat. Ich treffe mich mit Alina und Sophia [Namen von der Redaktion geändert]. Ihre Unterkunft haben sie, wie viele andere auch, über eine Privatinitiative bekommen. Als ich eintreffe, spielt die kleine Tochter im Vorgarten, ich werden herzlich begrüßt. Tee und Kuchen sind auf dem Tisch bereitgestellt. Die Atmosphäre ist entspannt, aber fokussiert. Wir unterhalten uns in Englisch, Alina übersetzt oft für Sophia ins Ukrainische. Daher ist es auch Alina, mit der ich fast ausschließlich spreche. Sophia zeigt mir während des Interviews manche Details auf einer Karte oder ihrem Handy. Der Google-Übersetzer kommt auch hin und wieder zum Einsatz.

Kauferinger Express: Wie war Ihr Leben zuhause in der Ukraine, bevor Sie das Land verließen?

Alina: Wir hatten normale Jobs in der Ukraine. Ich hatte einen Internetsupermarkt und Sophia arbeitete an einer medizinischen Hochschule. Wir waren dort mit unseren Familien, den Kindern, Vater, Mutter – wir hatten ein gutes Leben.

KE: Ein normales Leben, wie jeder andere auch …

A: Wir hatten Träume und eine Zukunft. Und am 24. Februar kam dann der Krieg zu uns und wir mussten unser gesamtes Leben in eine kleine Tasche packen. Und dann waren da plötzlich keine Träume mehr, kein Zuhause, nichts. Wir kommen aus Chernihiv, einer Stadt im Norden der Ukraine. In der Nähe zu Belarus und Russland, ungefähr 150 Kilometer von Kiew entfernt. Mit dem Auto braucht man etwa eineinhalb Stunden. Und wir hatten nur unsere Reisetasche dabei mit nur dem Nötigsten – Dokumente, Wertsachen, Medikamente. Wir hatten gehofft, dass das Ganze nur Gerede wäre und ein Krieg nie ausbrechen würde. Vielleicht nur in Donezk und Luhansk. Wir dachten, das wäre unmöglich.

KE: Wann haben Sie beschlossen, das Land zu verlassen, was genau ist geschehen?

A: Wir sind nach zwölf Tagen aus Chernihiv geflohen. Fünf Tagen lang konnten wir die Bomben hören, nicht nur die Bomben, sondern auch Gefechtsfeuer. Wir wohnten da schon nicht mehr in meiner Wohnung – sie ist im sechsten Stock. Wir sind mit meinen Kindern und Eltern runter in den Keller gegangen. Und wir hörten die Sirenen, wenn die Bomben kamen und wir hofften, dass alles schnell vorbei sein würde. Jeden Tag standen wir auf und in den Nächten konnten wir nicht schlafen. Wir hofften jeden Tag, dass es vorbei sein würde. Ich schaute im Internet nach und wir gingen nach draußen. Das Haus meiner Eltern war dann zerstört. Wir sahen immer mehr Zerstörung. Wir begriffen, dass wir hier weg mussten. Vielleicht in eine andere Stadt, vielleicht nach Westen. Ich hatte ein Auto, aber das war sehr gefährlich. Die Polizei sagte, bitte fahrt nicht mit dem Auto, wartet auf die Freigabe. Sie müssen wissen, dass die Russen die Freigabe erteilen. Wenn man einfach so losfährt, wird man beschossen. So sind schon viele gestorben. Und eines Morgens war es so weit. Sie sagten: fahrt bitte in zehn Minuten los. Ich begriff, dass wir weg mussten, es wäre unmöglich gewesen weiter dort zu bleiben. Die kleinen Kinder, wir hatten keinen Strom, kein Wasser, nichts. Ich rief Sophia an. Und wir sind Richtung Westen gefahren, Richtung Winnytsia in ein Lager des Roten Kreuz.

KE: Und von da aus?

A: Dann später weiter nach Polen. Ich habe viel mit meinen Freunden kommuniziert und die dann wieder mit ihren Freunden. Und wir kamen dann nach Deutschland. Hier ist es sicher.

KE: Kannten Sie jemanden in Deutschland?

A: Nein. Wir lernten eine Frau kennen, die aus Chernihiv kam und 20 Jahre in Deutschland wohnte. Sie half uns und stellte den Kontakt zu unserer Gastfamilie her. Wir kamen hier an, wussten gar nicht, wo genau das ist. Wir hatten Angst vor den Bomben. Wir wollten sie nicht mehr hören, ihr Feuer nicht mehr sehen und wie die Menschen sterben. Wir wollten nur weg. Wir sahen nur, wie die Tage vergingen und warteten – und kamen dann hier her. Und unsere Gastfamilie sagte: bitte bleibt hier.

KE: Sie kamen direkt aus der Ukraine über Polen nach Deutschland?

A: Ja, wir sind mit dem Zug und dem Bus gefahren. Nach Polen, Deutschland und dann München und schließlich hier her.

KE: Sind noch viele Ihrer Freunde und Verwandten zu Hause, in der Ukraine?

A: Mein Bruder konnte nicht mitkommen. Aber viele Freunde sind ebenfalls gegangen. Freunde aus Chernihiv sind in Kaufering, etwa drei Familien. Wir treffen uns im Ukraine-Forum. Da können wir reden. Da sind viele Leute.

KE: Ist es für Sie schwer, hier in Deutschland?

A: Als wir ankamen, war es sehr schwer. Als wir zu unserer Gastfamilie kamen, halfen sie uns sehr. Gaben uns Kleidung, Essen und eine Unterkunft. Jetzt kann ich darüber reden, ohne zu weinen. So viel Hilfsbereitschaft. Jetzt sind wir schon einen Monat und fünf Tage hier. Wir müssen unbedingt Deutsch lernen. Die Leute wollen helfen. An Ostern hat unsere Gastfamilie Geschenke für die Kinder vorbeigebracht. Sophia hat eine Tochter und ich einen Sohn und eine Tochter. Der Krieg hat sie verändert. Jetzt sind die Großen in der Schule. Hier in Landsberg gibt es viel Hilfe. Alle wollen helfen. Wir gehen zum Sozialamt, dort sind sie sehr hilfsbereit. Sie fragen uns, was wir brauche, welche Art von Unterstützung. Wir können nichts telefonisch regeln, weil wir kein Deutsch sprechen. Das ist alles sehr kurzfristig, aber wir kommen sehr gut zurecht. Nur mein Herz weint. Wir vermissen unser Zuhause, wo unsere Eltern sind. Unser Leben in der Ukraine. Alles zerstört.

KE: Sprechen Sie oft mit Ihren Freunden und Verwandten zu Hause?

A: Ja, wir telefonieren, sind per Email und Internet in Kontakt. Aber viele Freunde sind in anderen Städten. In Chernihiv ist es sehr gefährlich. Viele sind im Westen der Ukraine. Und es ist sehr schwer für sie. Etwa vor fünf Tagen sind welche von ihnen zurück nach Chernihiv gegangen. Aber Präsident Selenskyj sagt, man soll nicht zurückkehren. Dort gibt es zu viele Probleme. Es ist wieder sehr gefährlich.

KE: Ja, man weiß nicht, was als Nächstes passieren wird …

A: Wir sind hier, mit all der Hilfe und uns geht es gut. Aber die Freunde, die zurückgekehrt sind, erkennen nun, dass es sehr beängstigend ist. Es ist sehr schwer für sie. Jederzeit könnte eine Bombe einschlagen, wenn sie schlafen. Das ist furchtbar.

KE: Glauben Sie, dass es bald Frieden in der Ukraine geben wird?

A: Es ist verrückt – das russische System. Ich kann nichts Gutes über Putin sagen. Ich weiß nicht. Das russische Volk will diesen Krieg. Sie schauen nur fern, nicht Youtube oder was anderes im Internet. Im Fernsehen spricht man nicht von den ukrainischen Menschen, die sterben. Aber wir haben doch niemandem etwas getan. Wir lieben Europa. Wir haben gute Jobs, wir haben gute Universitäten, wir reisen gerne. Aber das ist alles ganz anderes bei den Russen. Und wir schauen immer in das restliche Europa und wir wollen das Gleiche. Und wir tun doch niemandem etwas. Und dann kamen sie einfach. Ich weiß es nicht. Wir hoffen, das geht alles schnell vorbei. Aber vielleicht dauert es auch noch lange. Es wird niemals wieder so sein, wie es einmal war. Aber vielleicht ist es eines Tages nicht mehr so gefährlich und die Leute kehren zurück. Aber es ist schlimm. Ich habe keine Ahnung, wie lange dieser Krieg dauert.

KE: Haben Sie Pläne? Sie wollen Deutsch lernen …

A: Ja, wir haben uns gestern für einen Deutschkurs angemeldet. Wir wollen Deutsch lernen und wir wollen hier eine Arbeit finden. Vielleicht bleiben wir hier. Ich habe Angst. Ich musste einsehen, dass es sehr schwer für mich werden würde, wenn ich in die Ukraine zurück wollte. Wir werden ein Jahr hierbleiben, das ist wohl sicher, vielleicht länger. Mein Job – ich hatte einen Internetsupermarkt – der ist jetzt zerstört. Ich habe keinen Job mehr. Ich weiß es nicht. Ich habe jetzt ein neues Zuhause. Ich hoffe, dass ich bleiben kann und dass es keine Schwierigkeiten gibt. In der Ukraine ist das alles nicht mehr möglich. Man weiß nicht, wann die Bomben fallen und alles zerstören. Sophia will arbeiten, will aber zurück in die Ukraine, wenn der Krieg vorbei ist. Sie liebt ihre Heimat. Aber ich weiß es nicht. Zuhause ist die Schule meines Sohnes zerstört, der Kindergarten meiner Tochter ebenfalls. Ich habe große Angst. Wir haben keine echten Pläne. Vielleicht bleiben wir ein oder zwei Jahre. Wir müssen Deutsch lernen, das ist auf jeden Fall gut. Vielleicht können wir dann eines Tages in der Ukraine als Übersetzerinnen arbeiten. Ich begreife langsam, dass wir hierbleiben und ein neues Leben beginnen müssen. Ich möchte gerne arbeiten. Ukrainer*innen sitzen nicht gerne zuhause herum. Wie alle anderen Menschen auch. Wir machen Pläne für den Tag. Den Kurs besuchen, zum Einkaufen gehen, kochen … In Deutschland ist alles so teuer, also halten wir nach Sonderangeboten Ausschau. Das sind unsere Pläne. Aber Deutsch lernen steht an erster Stelle.

KE: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft.